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Hamburg, der 15.08.2022
Seit Donnerstag hat das Aktionsbündnis Ende Gelände in Norddeutschland vielfältige Aktionen zivilen Ungehorsams durchgeführt. Damit protestierten die Klimaaktivist*innen gegen den Ausbau von Gasinfrastruktur und koloniale Wirtschaftsstrukturen. Die Polizei ging mit massiver Gewalt gegen die Demonstrant*innen vor. Die Demonstrant*innen sorgten mit ihren Aktionen dafür, dass der Güterverkehr im Hamburger Hafen für neun Stunden blockiert wurde.
Es kam zu zahlreichen dokumentierten Übergriffen durch die Polizei. Durch den Einsatz von Wasserwerfern, Schlagstöcken, Reizgas und Schmerzgriffen sowie durch Schläge und Tritte wurden zahlreiche Aktivist*innen verletzt – teilweise schwer. Einige Aktivist*innen mussten in Folge der Polizeigewalt im Krankenhaus behandelt werden. Darüber hinaus gefährdete die Einsatzleitung mehrfach die Gesundheit der Aktivist*innen, indem bei über 30 Grad Trinkwasser verweigert, die medizinische Versorgung durch Sanitäter*innen aktiv behindert und Sonnenschutz konfisziert wurde.
Luca Schöller von den Demosanitäter*innen: „Die Polizei hat eine bewusstlose Person für mindestens 20 Minuten in der prallen Sonne liegen lassen und unterstellt, sie würde simulieren. Die Polizei hat unsere lebensrettenden Maßnahmen massiv behindert, indem die gewaltsame Räumung ohne Rücksicht auf die verletzte Person sowie unter Gefährdung des Rettungspersonals in unmittelbarer Nähe fortgeführt wurde. Trotz mehrfacher Aufforderung, unverzüglich den Rettungsdienst und eine Notärzt*in zu alarmieren, wurde der Rettungswagen erst mit deutlicher Verzögerung gerufen - die Polizei hat unsere Einschätzung bis zur Bestätigung der akuten Lebensgefahr durch einen Polizeiarzt ignoriert. Sie haben ein Menschenleben gefährdet.“
Am 24. Juli fand vor dem Stuttgarter Landgericht das Berufungsverfahren gegen den Stuttgarter Chris statt. Der angeklagte Kommunist wurde in zweiter Instanz vom Vorwurf des Landfriedensbruchs freigesprochen. Durch eine konsequent politische Prozessführung ist es im Laufe des Verfahrens gelungen, die Rolle des geladenen Gutachters in den Mittelpunkt zu stellen. Der 78-Jährige steht mit seiner Methodik, seiner beruflichen Praxis und seiner persönlichen Familiengeschichte in der Tradition der NS-Ideologie.
Schon weit vor Prozessbeginn kamen vor dem Gerichtsgebäude zahlreiche Unterstützer:innen zusammen. Am aufgebauten Infostand konnten unter anderem Briefe an politische Gefangene geschrieben werden. In Redebeiträgen stellten u.a. die Rote Hilfe sowie die Interventionistische Linke die Notwendigkeit der Solidarität in den Mittelpunkt. Denn das Verfahren an diesem Tag lässt sich nicht isoliert betrachten, schon seit Jahren sind kommunistische, revolutionäre Kräfte in der Region massiv von Repression betroffen. Chris stellte in einer kurzen Rede klar, dass die Konfrontation mit der bürgerlichen Justiz in der politischen Praxis unausweichlich ist. Eine revolutionäre Linke, die ihren eigenen Anspruch ernst nimmt, müsse „einen konkreten Weg suchen, wie eine revolutionäre Gegenmacht gegen die Repression aufzubauen“ sei.
Ganzer Artikel: https://solidaritaetweitermachen.wordpress.com/2022/06/29/bericht-freispruch-fur-chris/
Interview in der Jungen Welt: https://www.jungewelt.de/artikel/429550.linke-vor-gericht-das-ist-eine-kampagne-der-klassenjustiz.html
Zum Abschluss der organisierten Proteste gegen den G7-Gipfel 2022 in Elmau zieht der Ermittlungsausschuss(1) Bilanz: Formal durch das Grundgesetz geschützte Versammlungen waren massiven Einschränkungen und teils brutalen Polizeiübergriffen ausgesetzt, dutzende Menschen wurden grundlos festgehalten und Anwält:innen in Ausübung ihres Mandats offensichtlich von der Polizei belogen. EA-Sprecher:in Deniz Kayser: „Zum Gipfel gab es wieder das gewohnte bayerische Bild: Innenministerium und Polizei setzten sich souverän über Recht und Gesetz hinweg. Und ganz offensichtlich haben sie gezielt Zwischenfälle provoziert, um den teuren Großeinsatz irgendwie zu rechtfertigen.“
Dem kurdisch-stämmigen Kommunisten Ecevit Piroğlu droht in wenigen Tagen die Abschiebung von Serbien in die Türkei. Nachdem er im Juni 2021 festgenommen wurde, findet am 3. Juni die Anhörung vor Gericht statt, die über eine Auslieferung entscheidet.
Ecevit Piroğlu war vor über zehn Jahren aus der Türkei geflohen, um einer langjährigen Haftstrafe aufgrund seiner politischen Aktivitäten zu entgehen.
Politisiert in der Studierendenbewegung der neunziger Jahre, war er später für einige Zeit Direktor des international bekannten Menschenrechtsvereins IHD, der seit Jahrzehnten Folterungen in Haft, Polizeigewalt auf Demonstrationen und das „Verschwindenlassen“ linker Oppositioneller in der Türkei anprangert.
Vor seiner Flucht nahm er an zahlreichen Kämpfen gegen die Assimilation unterschiedlicher Kulturen und Glaubensrichtungen teil. Als aktiver Teilnehmer am Gezi-Aufstand 2013 und Geschäftsführer der Sozialistischen Demokratischen Partei (SDP) wurde er von der Regierung verstärkt ins Visier genommen. Im Juni 2013 fand eine Durchsuchung des SDP-Gebäudes statt, bei der Piroğlu und Dutzende weitere Personen brutal überfallen und festgenommen wurden. Angesichts der Verhaftungen und massiven Verfolgung vieler Führungskräfte war die SDP gezwungen, sich aufzulösen. Der Aktivist, der bereits mehrfach in Haft gewesen ist, entschied sich für das Exil, um einer langen jahrzehntelangen Gefängnisstrafe zu entgehen.
Am Morgen des 24. Mai 2022 wurde der kurdische Aktivist Ali Ö. festgenommen und nach Eröffnung des Haftbefehls durch den Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe verhaftet. Seitdem befindet er sich in Untersuchungshaft in der JVA Frankfurt/M. 1. Ihm wird vorgeworfen, als mutmaßliches Mitglied der PKK für bestimmte Gebiete verantwortlich gewesen zu sein und die üblichen organisatorischen, finanziellen und politischen „Kaderaufgaben“ durchgeführt zu haben. Ihm wie den meisten Aktivist:innen werden keine individuellen Straftaten zur Last gelegt.
Ali Ö. weiß, was es in Deutschland bedeutet, sich politisch für die legitimen Anliegen von Kurdinnen und Kurden einzusetzen. Wegen seiner Aktivitäten ist der 54-Jährige bereits im Oktober 2016 vom OLG Stuttgart gem. §§129a/b StGB zu einer Haftstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt und Anfang August 2018 aus der Haft entlassen worden.
Seit der Entscheidung des BGH vom Oktober 2010, auch die PKK als eine „terroristische“ Vereinigung im Ausland gem. §§129a/b StGB einzustufen, ist Ali der 54. Betroffene, der mit einer derartigen Anklage konfrontiert ist.
Die neue Rote Hilfe Zeitung ist erschienen. Schwerpunkt der Ausgabe: Verfassungsschutz.
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Außerdem ist sie wie alle Ausgaben seit 3/2011 auch als PDF-Download verfügbar.
Am Samstag, 21. Mai 2022 beginnt im italienischen Trapani der bisher größte Prozess gegen die Seenotrettung. Nach fünf Jahren Ermittlungen drohen vier Crewmitgliedern aus Deutschland bis zu 20 Jahre Haft, weil sie dabei geholfen haben, mehr als 14.000 Menschen im Mittelmeer vor dem Ertrinken zu retten. In dem Verfahren klagt die Staatsanwaltschaft insgesamt 21 Personen, eine Reederei und zwei Nichtregierungsorganisationen an. Der Vorwurf: „Beihilfe zur irregulären Einreise“. Im Falle einer Verurteilung drohen den Angeklagten zudem Strafforderungen in Millionenhöhe.
Ab Juli 2016 begannen Freiwillige sich mit dem eigens gekauften Schiff Iuventa an Such- und Rettungsaktionen im zentralen Mittelmeer zu beteiligen und Menschen aus Seenot in sichere europäische Häfen zu bringen. Nach mehreren Versuchen der Kriminalisierung der Seenotrettung wurde die Iuventa im August 2017 von der italienischen Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. Dabei wurden zudem Ermittlungsverfahren gegen mehrere Besatzungsmitglieder*innen eingeleitet.
In der am Samstag beginnenden nicht-öffentlichen Vorverhandlung wird entschieden, ob die Anklage fallen gelassen oder ein möglicherweise jahrelanger Prozess gegen die Seenotretter*innen eingeleitet wird. Verschiedene Menschenrechtsorganisationen und antirassistische Gruppen haben für den Tag bereits Proteste angekündigt. Auch in Deutschland gibt es seit Wochen Solidaritätsveranstaltungen und -aufrufe.
In den vergangenen Tagen konnten gleich zwei Genoss*innen wieder in der Freiheit begrüßt werden: Der Nürnberger Aktivist Jan kam am Morgen des 6. Mai 2022 nach acht Monaten Haft aus dem Bayreuther Gefängnis. Der Prozess gegen ihn hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt: Vorgeworfen wurde ihm, im Juni 2019 bei spontanen Protesten gegen einen Polizeieinsatz auf dem Jamnitzer Platz die Einsatzkräfte angeschrien zu haben, was als „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ gewertet wurde, obwohl es keinerlei Körperkontakt gab. Darüber hinaus war er laut Zeug*innen gar nicht vor Ort gewesen. Trotzdem musste Jan eine 14-monatige Haftstrafe antreten. Seine vorzeitige Freilassung wurde am 6. Mai von Unterstützer*innen lautstark gefeiert.
Am heutigen Freitag, 1. April 2022, fand der Berufungsprozess gegen „Ella“ am elften Verhandlungstag sein befürchtetes Ende: Indem das Landgericht Gießen eine Haftstrafe von 21 Monaten verhängte, hält es weiterhin an seiner Verfolgungswut gegen die Klimaaktivistin fest.
Zwar ist die Haftdauer niedriger als in der ersten Instanz, die ein Urteil über 27 Monate Gefängnis ausgesprochen hatte, aber die Beweise sind in der Berufungsverhandlung wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen. Angesichts des eindeutigen Videomaterials mussten die polizeilichen Hauptbelastungszeugen einräumen, in ihren Aussagen gelogen zu haben; sie waren nachweislich zu keinem Zeitpunkt gefährdet, wie sie zuvor behauptet hatten. Der konkrete Vorwurf gegen „Ella“, die weiterhin ihren Namen den Repressionsorganen nicht preisgibt, besteht in einer abwehrenden Beinbewegung, die sie bei der Räumung der Baumdörfer im Dannenröder Wald im November 2020 in Richtung eines SEK-Beamten gemacht haben soll. Dieser packte die Waldbesetzerin in 15 Metern Höhe am Bein und versuchte, sie in die Tiefe zu ziehen. Dabei schlugen die Beamten Ella mit Fäusten und einem Metallschloss. Obwohl die Beinbewegung hingegen keinen Beamten berührte, dient sie als Vorwand, um die Aktivistin seit nunmehr fast eineinhalb Jahren in Untersuchungshaft zu halten. Selbst nachdem die SEK-Beamten ihre Falschaussagen eingestanden hatten, verweigerte der Richter eine Haftprüfung.
Nach zehn Verhandlungstagen wird das Landgericht Gießen am Freitag voraussichtlich das Urteil im Fall der Umweltaktivistin Ella sprechen. Die von der Justiz als unbekannte weibliche Person 1 geführte Klimaaktivistin wurde in erster Instanz vom Amtsgericht Alsfeld wegen gefährlicher Körperverletzung und tätlichen Angriffs auf Polizeikräfte zu 27 Monaten Haft verurteilt. Obwohl sich die Vorwürfe gegen Ella im Lauf der Berufungsverhandlung in wesentlichen Punkten als unhaltbar erwiesen, forderte die Staatsanwaltschaft in der vergangenen Woche in ihrem Plädoyer eine höhere Gesamtstrafe von 28 Monaten. Die Taten seien „ein Angriff auf den Rechtsstaat“, begann die Staatsanwaltschaft ihr Plädoyer.
Ella soll sich im November 2020 in 15 Meter Höhe auf einem Baum im Dannenröder Wald gegen ihre Festnahme gewehrt haben. Im Herbst 2020 ging die Polizei mit einem Großaufgebot wochenlang gegen Aktivist*innen vor, die in den Baumwipfeln Baumhäuser errichteten, um die Rodung des Waldstücks für eine Autobahn zu verhindern. Am 26. November 2020 bewegte Ella sich auf einem Baum, als eine SEK-Einheit sie in die Tiefe ziehen wollte. Staatsanwaltschaft und Amtsgericht bewerteten eine Bewegung Ellas als Tritt in Richtung der Polizeibeamten. Obwohl die lückenlosen Videoaufnahmen keine Berührung eines Polizisten zeigen, glaubte das Amtsgericht einem Beamten, der von Ellas Knie getroffen worden sein will.
Doch in der Berufungsverhandlung wollten weder dieser noch ein anderer SEK-Beamter diese Aussagen aufrechterhalten. Sie hätten sich wohl geirrt, versuchten sie ihre Lügen in ihrer erneuten Vernehmung zu rechtfertigen. Vielmehr erwies sich in der Berufungsverhandlung, dass die auf dem Baum flüchtende Ella von den SEK-Beamten mehrere Faustschläge und Hiebe mit einem Metallschloss erhielt. Die unten stehenden Polizeibeamten kommentierten die Schläge mit „das hat sie verdient“, dokumentieren die Videoaufnahmen. Trotz der langen Untersuchungshaft und der in sich zusammenfallenden vermeintlichen Beweise weigerte sich das Gericht, eine vorzeitige Haftentlassung von Ella anzuordnen.
Für Anja Sommerfeld aus dem Bundesvorstand der Roten Hilfe e.V. ist die harte Verfolgung von Ella nur mit politischen Gründen zu erklären. „Die Staatsanwaltschaft versucht allen Ernstes, den Protest gegen die Rodung von Bäumen mitten in der Klimakrise als Angriff auf den Rechtsstaat umzudeuten. Von Beginn an versuchten die Sicherheitsbehörden, vom lebensgefährlichen Polizeieinsatz im Dannenröder Wald abzulenken. Wie der Prozess gegen Ella zeigte, gingen die Polizeikräfte mit massiver Gewalt vor, um die unangenehmen Bilder schnell wieder verschwinden zu lassen. Besonders die in der Landesregierung vertretenen Grünen wollten die Rodung von Bäumen für eine Autobahn schnell vergessen machen, Es galt auch danach, Ella und andere Klimaaktivist*innen umso härter zu verfolgen. Ella sitzt seit fast 1 ½ Jahren in Haft. Auf dem Rücken von Ella soll die gesamte Klimabewegung eingeschüchtert und von weiteren Protesten abgehalten werden.“
Sommerfeld ruft zu Solidarität mit Ella und allen anderen Gefangenen der Klimabewegung und anderer sozialer Kämpfe auf. „Statt mit aller Konsequenz gegen die Erderwärmung vorzugehen, kämpft der Staat mit voller Härte gegen die, die sich den Ursachen der Klimakrise in den Weg stellen. Wir fordern die sofortige Freilassung von Ella. Als Rote Hilfe sind wir solidarisch mit allen, die wegen ihrer politischen Betätigung vom Staat verfolgt werden.“