Die neue Rote Hilfe Zeitung ist erschienen. Schwerpunkt der Ausgabe: Repression gegen migrantische Aktivist_innen.
Ihr könnt die Zeitung im Bahnhofsbuchhandel kaufen oder im Literaturvertrieb bestellen. Mitglieder bekommen die Zeitung zugeschickt.
Außerdem ist sie wie alle Ausgaben seit 3/2011 auch als PDF-Download verfügbar.
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Seit dem erneuten Aufflammen des Nahostkrieges nach den Angriffen der Hamas auf Israel seit dem 7. Oktober, bei dem zahlreiche Zivilist*innen ermordet und verschleppt wurden, hat eine Vielzahl von Demonstrationen und Kundgebungen stattgefunden, die sich mit der Not leidenden palästinensischen Bevölkerung im Gaza-Streifen solidarisieren und ein Ende des Krieges fordern.
An diesen Versammlungen haben hierzulande auch linke Aktivist*innen teilgenommen, um sich beispielsweise für eine Waffenruhe, ein Ende der Angriffe auf die Zivilbevölkerung oder auch das Selbstbestimmungsrecht der palästinensischen Bevölkerung einzusetzen. Die Versammlungen unterscheiden sich zwar in der Anzahl der Teilnehmenden wie auch der Art der Durchführung etc. in den verschiedenen Städten recht stark, teilen jedoch ähnliche politische Forderungen. Dabei kommt es zu starken Eingriffen der Behörden in die Versammlungsfreiheit.
Direkt nach den Angriffen der Hamas wurden zahlreiche Versammlungen verboten, durch Auflagen erschwert oder vor Ort ad hoc aufgelöst. Auch wenn inzwischen wieder Versammlungen stattfinden konnten, hält die Tendenz zu starken Beschränkungen weiter an. Die Folge ist vor allem massive Polizeigewalt gegen Demonstrierende. Selbst Slogans wie „Free Palestine“ werden verfolgt. Die Deutung obliegt bislang weiterhin den örtlichen Ordnungsbehörden.
1981 kommt es im damaligen Rotlichtbezik von Philadelphia zu einer Schießerei. Ein weißer Polizist stirbt, der bekannte Radio-Journalist, politische Aktivist und Mitbegründer der Black Panther Party Philadelphia Mumia Abu-Jamal wird schwer verletzt. Während Mumia Abu-Jamal seit jeher seine Unschuld beteuert, wird er damals nach einem zweiwöchigen Prozess nur sechs Monate später zum Tode verurteilt. Der Gerichtsprozess ist bis heute eine Symbol für die rassistische Klassenjustiz der USA, sowie den Umgang mit politischen Aktivist*innen. Manipulierte Zeug*innenaussagen, sowie unter Verschluss gehaltene Beweise, befangene Staatsanwälte – dieser Prozess hat alles gesehen – nur keine Gerechtigkeit.
2011 konnte die Hinrichtung auf juristischem Wege verhindert werden, Mumia soll nach dem Willen der Repressionsbehörden lebenslänglich ohne Bewährung im Gefängnis verbleiben. Mumia befindet sich nun im 42ten Jahr seine Inhaftierung und hat sich niemals gebeugt: Obwohl er von der jahrzentelanger Inhaftierung schwer gezeichnet ist und zahlreiche gesundheitliche Einschränkungen hat, setzt Mumia seine politische und journalistische Arbeit fort. Bis heute kämpft Mumia gegen Rassismus, Kapitalismus und Repression weltweit. Auch seinen eigenen Kampf für ein faires Verfahren und seine Freilassung führt er ungebrochen fort. Unterstützt wird er dabei von eine weltweiten, unermüdlichen Solidaritätsbewegung.
Das Landgericht München hat in einer rechtskräftigen Entscheidung der Staatsschutzkammer zu den Durchsuchungen bei der Letzten Generation die Klimaschutzgruppe „Letzte Generation“ als kriminelle Vereinigung eingestuft. Die Beschwerden waren damit bis in letzter Instanz erfolglos, es bleibt nur noch der Gang zum Bundesverfassungsgericht. Weitere Entscheidungen wegen des Einfrierens der Gelder stehen noch aus. In Strafverfahren tatsächlich abgeurteilt wurden bislang aber nur Nötigungen, z.B. im Straßen- und Flugverkehr.
Der Vorwurf einer Nötigung reicht für umfangreichen Ermittlungen jedoch nicht aus. Deshalb wurde gegen die Letzte Generation der Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung erhoben, nach § 129 StGB. So sind weitreichende Ermittlungsbefugnisse gegeben, die jede vermeintliche Vereinigung bereits ersticken sollen, bevor diese im Strafverfahren überhaupt nachgewiesen ist. Der Straftatbestand dient seit je her der politischen Strafjustiz, erst zur Verfolgung gegen Sozialdemokrat*innen, dann gegen Kommunist*innen, bei Gründung der BRD gegen Wiederbewaffnungsgegner*innen, gegen Antifaschist*innen und im Kampf um Klimaschutz gegen Ökoaktivist*innen. Anknüpfungspunkt ist das Organisieren an sich. Die Zwecke einer solchen „Vereinigung“ sind durch die Strafverfolgungsbehörden frei interpretierbar, so wie hier der Zweck der Begehung von Straftaten. Seit der letzten Reform des § 129 StGB reichen dafür nun auch alle Delikte mit Mindeststrafmaß von 2 Jahren, also fast alle. Wie praktisch.
Die neue Rote Hilfe Zeitung ist erschienen. Schwerpunkt der Ausgabe: Repression gegen migrantische Aktivist_innen.
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Außerdem ist sie wie alle Ausgaben seit 3/2011 auch als PDF-Download verfügbar.
In einer groß angelegten konzertierten Aktion durchsuchten vermummte Polizeieinheiten am 8. November 2023 die Wohnungen zahlreicher Antifaschist*innen im ganzen Bundesgebiet. Vorwand für den Repressionsschlag waren die Proteste gegen einen rechten Aufmarsch am 1. Mai 2023 in Gera, bei dem die Einsatzkräfte brutal gegen die antifaschistische Demonstration vorgegangen waren und über 250 Nazigegner*innen stundenlang in Freiluftgewahrsam festhielten. Der damalige Einsatz war im Nachgang harsch kritisiert worden. Den meisten von der jetzigen Durchsuchung Betroffenen wird ausschließlich zur Last gelegt, an der Versammlung teilgenommen zu haben.
Die von der Staatsanwaltschaft Gera in Auftrag gegebenen Durchsuchungen wurden bewusst spektakulär inszeniert und martialisch durchgeführt: Mit Rammen zerstörten maskierte und behelmte Beamt*innen in den frühen Morgenstunden die Türen, und in mehreren Fällen wurden die Betroffenen gefesselt. Selbst ein als „neutraler“ Zeuge auftretender Mitarbeiter des Ordnungsamts trat nur vermummt auf. Teilweise setzte die Polizei während der stundenlangen Durchsuchungen sogar Spürhunde ein.
Fast sieben Jahre nach dem G20-Gipfel in Hamburg setzt die Hamburger Staatsanwaltschaft ihre Verfolgung der politischen Proteste fort. Im dritten Anlauf werden im sogenannten Rondenbarg-Verfahren ab Januar 2024 sechs Gipfelgegner*innen vor dem Hamburger Landgericht wegen ihrer Teilnahme an einer Demonstration angeklagt. In den vergangenen Jahren wurden bereits zwei weitere Verfahren in der Sache vorzeitig abgebrochen.
Für den am 18. Januar beginnenden Prozess sind vorläufig 25 Prozesstage bis August 2024 vor dem Landgericht Hamburg angesetzt. Die sechs Angeklagten kommen aus dem gesamten Bundesgebiet.
Die Angeklagten gehören zu den ca. 200 Demonstrant*innen, die am Morgen des 7. Juli 2017 in der Straße Rondenbarg in Hamburg-Bahrenfeld von einer BFE-Einheit ohne Vorwarnung angegriffen wurden, als sie auf dem Weg zu Blockadeaktionen waren. Bei dieser gewaltsamen Auflösung der Demonstration wurden zahlreiche Aktivist*innen verletzt, elf von ihnen schwer. Im Nachgang wurden keine Polizeibeamt*innen belangt, aber über 80 Demonstrationsteilnehmer*innen wegen schweren Landfriedensbruchs angeklagt.
Ungarische Staatsanwaltschaft erhebt Anklage und erlässt 14 internationale Haftbefehle
Mitte Februar 2023 fand in Budapest der sogenannte „Tag der Ehre“ statt, dabei gedenken seit über zwanzig Jahren Faschist*innen und Nazis der Wehrmacht und SS. Hierbei handelt es sich nicht nur um eine Demonstration, vielmehr nutzen militante und organisierte Faschist*innen und Nazis diesen Anlass alljährlich, um sich international zu vernetzen. Antifaschist*innen aus verschiedenen Ländern wird nun vorgeworfen, an gewalttätigen Auseinandersetzungen rund um den diesjährigen „Tag der Ehre“ beteiligt gewesen zu sein.
Zwei Genoss*innen aus Italien und Deutschland befinden sich deshalb seit Februar in Untersuchungshaft in Ungarn. Nun hat die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben: Der italienischen Antifaschistin wird lebensgefährliche Körperverletzung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Gegen zwei deutsche Antifaschist*innen wurde sowohl wegen angeblicher Unterstützung als auch der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung Anklage erhoben. Neben den schwerwiegenden juristischen Vorwürfen wird zudem seitens der Staatsanwaltschaft eine direkte Verbindung zum Antifa-Ost Verfahren in Deutschland hergestellt.
Darüber hinaus schwebt über weiteren Antifaschist*innen das Damoklesschwert eines Prozesses in Ungarn: Die dortige Staatsanwaltschaft hat vierzehn weitere internationale Haftbefehle erlassen.
Hierzu erklärt Anja Sommerfeld, Mitglied im Bundesvostand der Roten Hilfe e.V.:
„Die deutschen und ungarischen Repressionsbehörden arbeiten bei der Verfolgung der Aktivist*innen Hand in Hand. In Deutschland haben in diesem Zusammenhang bereits Razzien stattgefunden. Auch jetzt werden sich die ungarischen Behörden auf tatkräftige Unterstützung aus Deutschland bei der Kriminalisierung und Verfolgung der Antifaschist*innen verlassen können.
Die Ereignisse rund um das Budapest-Verfahren sind weitere Angriffe auf die antifaschistische Bewegung wie wir sie in den letzten Jahren in Baden-Württemberg, im Antifa-Ost-Verfahren oder jüngst in Nürnberg erlebt haben.
Wir rufen deshalb nachdrücklich alle Linken zur Solidarität mit den Betroffenen auf!
Die Rote Hilfe e.V. fordert zudem die sofortige Entlassung der Inhaftierten, sowie die Aufhebung der kürzlich erlassenen Haftbefehle.“
Am kommenden Freitag, 3.11.2023 beginnt vor dem Oberlandesgericht Hamburg der Prozess gegen den kurdischen Aktivisten Kenan Ayaz. Die Bundesanwaltschaft wirft Ayaz vor, zwischen 2018 und 2020 in Hamburg und anderen Gebieten für die PKK gearbeitet zu haben und klagt ihn wegen vermeintlicher Mitgliedschaft in der in Deutschland verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (§ 129b) an. Die konkreten Tatvorwürfe sind die Organisation von Demonstrationen und Versammlungen sowie das Sammeln von Spenden.
"In der Anklageschrift wird Kenan Ayaz nichts anderes vorgeworfen, als Mitglied der PKK zu sein. Insbesondere werden ihm keine Gewalttaten oder die Beteiligung an PKK-Anschlägen vorgeworfen", forderte die Verteidigung von Ayaz bereits vor einigen Wochen die Einstellung des Verfahrens gegen ihn. In ihrer Anklage stützt sich die Bundesanwaltschaft im Wesentlichen auf unbelegte Informationen des deutschen Geheimdienstes, Vermutungen und Textnachrichten, die sich nach der Lesart der Staatsanwaltschaft auf die Teilnahme an Demonstrationen, Versammlungen und das Sammeln von Spenden beziehen.
Ayaz wurde in der Türkei bereits im Alter von 19 Jahren willkürlich festgenommen, zwölf Jahre inhaftiert und erlitt Folter. Nach seiner Freilassung konnte er die Türkei verlassen und lebte seit 2013 als anerkannter politischer Flüchtling im griechischen Teil Zyperns. Mitte März 2023 wurde Ayaz am Flughafen von Larnaka aufgrund eines Auslieferungsersuchens aus Deutschland festgenommen, als er zu einem Familienbesuch nach Schweden reisen wollte. Anfang Juni wurde er trotz Protesten auf Zypern an Deutschland ausgeliefert und befindet sich seitdem in Hamburg in Untersuchungshaft. Dort galten für ihn lange verschärfte Haftbedingungen. Er musste 23 Stunden in einer Einzelzelle verbringen und auch den einstündigen Hofgang alleine und in Isolation verbringen.
Laut Informationen des Rechtshilfefonds Azadî e.V. befindet sich der in der JVA Stammheim inhaftierte politische Gefangene Mazlum Dora weiterhin im Hungerstreik, den er am 22. September gegen seine Haftbedingungen begonnen hatte.
Der kurdische Aktivist und Musikkünstler hat stark abgenommen und befindet sich in einem sehr ernsten Gesundheitszustand.
Mazlum Dora war Ende April dieses Jahres vom Oberlandesgericht Stuttgart wegen Mitgliedschaft in der PKK nach dem politischen Gesinnungsparagrafen 129 b StGB zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Seine Festnahme im Mai 2021war kurz nach einem Deutschland-Besuch des damaligen türkischen Außenministers Mevlüt Çavuşoğlu erfolgt.
Mit seinem Hungerstreik protestiert Mazlum Dora seit nunmehr fünfeinhalb Wochen gegen die Auslegung seiner politischen und kulturellen Aktivitäten als Straftat nach §129b, gegen seine entwürdigende Behandlung, gegen die Repression kurdischer Einrichtungen und gegen die Misshandlung kurdischer politischer Gefangener.
Aktuell laufen mehrere Gerichtsverfahren gegen Aktivist*innen der Klimagerechtigkeitsbewegung, denen vorgeworfen wird, an einer Blockade des Kohlekraftwerks Neurath in Nordrhein-Westfalen im November 2021 beteiligt gewesen zu sein. Im ersten Prozess vor dem Amtsgericht Grevenbroich hatte die Richterin am 3. April 2023 ein drakonisches Urteil verkündet, indem sie neun Monate Haft ohne Bewährung verhängte. Am 27. Oktober 2023 findet der Berufungsprozess vor dem Landgericht Mönchengladbach statt.
Am 5. November 2021 hatten rund 40 Klimagerechtigkeitsaktivist*innen mit einer Blockade auf den Gleisen zum Kraftwerk Neurath über 14 Stunden lang die Kohlezufuhr verhindert. Die Polizei ging bei der Räumung der „BlockNeurath“-Aktion äußerst brutal vor und verweigerte Verletzten eine angemessene medizinische Versorgung. Tagelang wurden zehn Kohlekraftgegner*innen unter schikanösen Bedingungen in der Polizeistation in Gewahrsam gehalten, um sie zur Preisgabe ihrer Identität zu zwingen.