Die neue Rote Hilfe Zeitung ist erschienen. Schwerpunkt der Ausgabe: Politische Justiz.
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Außerdem ist sie wie alle Ausgaben seit 3/2011 auch als PDF-Download verfügbar.
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Auch nach mehr als drei Jahren nach dem G20-Gipfel in Hamburg ist ein Ende der staatlichen Repression nicht abzusehen. Im Dezember soll der erste Prozess im sog. Rondenbarg-Komplex gegen fünf junge Angeklagte starten. Sie sind die jüngsten der insgesamt über 80 Angeklagten, denen im Rahmen eines Pilotverfahrens der Prozess gemacht werden soll. An ihnen sollen exemplarisch die Beweisführung und Konstruktion der Vorwürfe durchexerziert werden, die nach dem Willen der Staatsanwaltschaft auch in möglichen späteren Verfahren gegen ihre Genoss*innen angewandt werden sollen.
Die Angeklagten gehören zu den ca. 200 Demonstrant*innen, die am Morgen des 7. Juli 2017 in der Straße Rondenbarg in Hamburg-Bahrenfeld von einer BFE-Einheit ohne Vorwarnung angegriffen wurden, als sie auf dem Weg zu Blockadeaktionen waren. Bei diesem Angriff wurden zahlreiche Aktivist*innen verletzt, elf von ihnen schwer.
Das staatsanwaltliche Konstrukt sieht nicht vor, individuelle strafbare Handlungen nachzuweisen. Allein die Anwesenheit der Beschuldigten vor Ort genüge, um ein gemeinsames Tathandeln zu unterstellen, was für eine Verurteilung ausreiche. So werden auch den Beschuldigten keine konkreten Straftaten zugeordnet. Falls sich diese Rechtsauffassung durchsetzen sollte, wäre künftig jede Teilnahme an einer Demonstration mit enormen Kriminalisierungsrisiken verbunden. Straftaten Einzelner könnten so allen vor Ort befindlichen Personen zugeschrieben werden.
Rote Hilfe e.V. weist Anschuldigung zurück
Am 18. September 2020, fand die mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Bremen statt. Gegenstand der Verhandlung ist die Bewertung des bundesweiten Solidaritätsvereins Rote Hilfe e.V. als angeblich „gewaltorientiert“ in den schriftlichen Berichten des Inlandsgeheimdienstes „Verfassungsschutz Bremen“ seit dem Jahr 2016.
Die Rote Hilfe e.V. hatte gegen den VS-Bericht 2016 geklagt und Recht bekommen; der Begriff musste vorerst gestrichen werden. Im anschließenden Verfahren war durch fadenscheinige Begründungen die Zuschreibung wieder zugelassen worden. Die Innenbehörde hatte Rechtsmittel eingelegt, woraufhin der Fall vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) verhandelt wurde. Dieses verlangte eine inhaltliche Erklärung im VS-Bericht.
Seither heißt es in diesem, dass die Rote Hilfe e.V. nicht selbst gewalttätig agiere, aber eine „gewaltunterstützende und -befürwortende Einstellung“ habe und weiter dem gewaltorientierten Linksextremismus zuzurechnen sei.
Beim gestrigen Prozesstermin wurde die Sachlage erneut erörtert. Eine Entscheidung wird dem Verein zugestellt.
Erneut wurde in Bayern ein politisch aktiver Kurde verhaftet und zum „Terroristen“ erklärt.
Wie erst jetzt bekannt wurde, ist Yilmaz Acil vor rund zwei Wochen in Augsburg festgenommen worden und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Wie vielen anderen kurdischen Aktivist*innen wird ihm die „Mitgliedschaft in der PKK“ zur Last gelegt. Die angeblichen Belege, die aus dem Haftbefehl hervorgehen, sind mehr als dünn und treffen zum großen Teil nicht nur auf kurdische Aktivist*innen zu, sondern könnten auch Journalist*innen sowie Mitgliedern aus Solidaritätsgruppen angekreidet werden, um sie nach dem umstrittenen Gesinnungsparagrafen 129b StGB zu Mitgliedern einer „ausländischen terroristischen Vereinigung“ zu erklären.
Dem Inhaftierten wird vorgeworfen, auf einer Veranstaltung eine Fahne des geistigen Anführers des Dersim-Aufstandes von 1937, Seyit Riza, getragen zu haben, der von der türkischen Armee hingerichtet wurde. Auch soll er mit gewählten Parlamentsabgeordneten der prokurdischen Parlamentspartei HDP telefoniert haben. Zusätzlich wird Yilmaz Acil vorgeworfen, Gedenkveranstaltungen für die Massaker von Dersim, Maraş und Roboski besucht zu haben.
Wir dokumentieren eine Stellungnahme der Kampagne "Antifaschismus bleibt notwendig!"
Schikanen und fragwürdige Ermittlungen im Verfahren gegen Antifaschist*innen aus Baden-Württemberg
Seit dem 2. Juli sitzt der Antifaschist Jo in Stuttgart-Stammheim in Untersuchungshaft. Ihm wird neben 8 anderen vorgeworfen, bei einer Auseinandersetzung am Rande der Stuttgarter Corona-Demonstrationen Faschisten angegriffen und 3 von ihnen schwerer verletzt zu haben. Das Verfahren ist geprägt von Schikanen gegenüber den beschuldigten Antifaschist*innen. Immer wieder wird die Post von Jo aufgehalten oder über 4 Wochen hinausgezögert. Auf die Spitze getrieben wurden diese nun von der Staatsanwaltschaft. Diese verbot den Besuch von politischen Freunden bei Jo mit der Begründung, dass „die Wahrnehmung von Außenkontakt wird dem Beschuldigten durch zahlreiche Besuche seiner Familie ermöglicht. Personen außerhalb des Familienkreises wird derzeit keine Besuchserlaubnis erteilt.“
Zwar stimmt es, dass Jo Besuche seiner Familie erhalten kann, doch das Verbot von Besuchen darüber hinaus stellt dennoch den Versuch dar, Jo sozial und politisch zu isolieren. Das ist eine Form der Isolation Jo‘s in U-Haft, die in dieser Form in den letzten Jahrzehnten gegen Linke unbekannt war und zuvor einzig in „Terror“-Verfahren nach Paragraph §§129 a/b zur Anwendung kam. Diese politische und soziale Isolation von Jo soll ihn in Untersuchungshaft weiter schwächen und seine Identität in Haft brechen, in dem der Austausch und die Diskussion verhindert und Jo so aus kollektiven, politischen Prozessen herausgehalten werden soll.
Die Repression gegen linke Strukturen und AktivistInnen nimmt zu. Anfang letzten Jahres wurde öffentlich über ein Verbot der Roten Hilfe e.V. spekuliert. Im Juli wurden nach 4 Jahren Prozess 10 KommunistInnen der türkisch/kurdischen TKP/ML wegen der bloßen Mitgliedschaft in ihrer legalen (!) Organisation zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Ende August stürmten SEK-Einheiten 28 Wohnungen und linke Zentren die der Staat dem Roten Aufbau Hamburg zurechnet. Den meisten der 22 Betroffenen wird vorgeworfen eine „kriminelle“, in einem Fall sogar eine „terroristische“ Vereinigung gebildet zu haben. Es handelt sich um das größte Verfahren gegen eine deutsche linke Organisation seit Jahrzehnten.
Heute morgen fanden in Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen insgesamt 28 Hausdurchsuchungen statt. Schwerpunkt der Razzien war Hamburg, deren Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren betreibt. Den Beschuldigten wird vorgeworfen, Mitglieder der linken Gruppe Roter Aufbau zu sein und eine kriminelle Vereinigung nach Paragraf 129 gebildet zu haben. Bereits im Vorfeld der Proteste gegen den G20-Gipfel war es zu Durchsuchungen gekommen. Hierbei gingen auch in der Vergangenheit die Polizeikräfte mit martialischem Auftreten inklusive SEK Einsatz vor.
Nun werden den Genoss*innen laut Medienberichten schwere Straftaten vorgeworfen.
Die Gruppe soll angeblich das Ziel verfolgt haben, Straftaten vom Landfriedensbruch, über Sachbeschädigung bis hin zur Aufforderung zur Begehung von Straftaten zu begehen.
Hierzu erklärt Anja Sommerfeld, Mitglied im Bundesvorstand der Roten Hilfe e.V.:
„Bei den Razzien handelt es sich um die größten Angriffe der letzten Jahre auf organisierte linke Strukturen. Nur zwei Tage nachdem Neonazis die Stufen des Reichstages erklimmen konnten, ohne nennenswert daran gehindert worden zu sein, haben die Repressionsbehörden nichts Besseres zu tun, als eine aktive linke Gruppe zu kriminalisieren. Als Begründung wird einmal mehr der Gesinnungs- und Strukturermittlungsparagraf 129 angeführt. Es handelt sich offenkundig um einen gezielten Einschüchterungsversuch gegen die gesamte linke Bewegung. Ich bin mir sicher, dass auch dieser Versuch, systemoppositionelle linke Kräfte mundtot zu machen, an der strömungsübergreifenden Solidarität scheitern wird. Wir rufen alle Linken auf, sich gegen diese Provokation öffentlich zu positionieren. Die Rote Hilfe e.V. ist solidarisch mit den Betroffenen und fordert die Einstellung der Ermittlungsverfahren.“
Im eher beschaulichen Rheinland-Pfalz hat sich am 15.August 2020 in Ingelheim am Rhein ein Polizeieinsatz ereignet, der in mehrfacher Hinsicht genauer untersucht werden sollte.
Bei Protesten gegen den Aufmarsch der neonazistischen Kleinstpartei „Die Rechte“ zu Ehren des Kriegsverbrechers Rudolf Hess kam es zu einem der schlimmsten Polizeieinsätze gegen Antifaschist*innen in Rheinland-Pfalz.
„Wenn bei einer friedlichen antifaschistischen Kundgebung mit circa 250 Teilnehmer*innen mindestens 116 Gegendemonstrant*innen durch die professionell agierenden Demosanitäter Süd-West e.V. als verletzt gemeldet werden, dann muss das im Nachgang untersucht und rechtliche Konsequenzen für die Verantwortlichen haben. Die Bilder erinnern an brutale Polizeieinsätze wie beim G20 Gipfel in Hamburg.“, erklärt Anja Sommerfeld, Mitglied im Bundesvorstand der Roten Hilfe e.V.
Die neue Rote Hilfe Zeitung ist erschienen. Schwerpunkt der Ausgabe: Gesetzesverschärfungen.
Ihr könnt die Zeitung im Bahnhofsbuchhandel kaufen oder im Literaturvertrieb bestellen. Mitglieder bekommen die Zeitung zugeschickt.
Außerdem ist sie wie alle Ausgaben seit 3/2011 auch als PDF-Download verfügbar.
Ein Grußwort des Bundesvorstands der Roten Hilfe e.V. zum TKP/ML Prozess
Liebe Freund*innen,
liebe Genoss*innen,
wir sind heute hier, um unsere Solidarität mit den zehn Angeklagten im TKP/ML Prozess zu zeigen und gegen dieses Urteil lautstark zu protestieren.
Wir werden heute Zeug*innen, wie einmal mehr in diesem kapitalistischen Staat negative Rechtsgeschichte geschrieben wird, wenn es darum geht, linke Aktivist*innen zu verurteilen.
Heute geht mit den Urteilen der seit Jahrzehnten größte Kommunist*innen-Prozess nach über vier Jahren zu Ende. Zehn unserer Genoss*innen sind angeklagt, aktive Mitglieder der Türkischen Kommunistischen Partei/Marxisten-Leninisten zu sein.
Konkret vorgeworfen werden den Angeklagten keine strafbaren Handlungen, sondern ausschließlich legale politische Arbeit wie die Organisierung von Veranstaltungen, Demonstrationen, Konzerten und Seminaren. Es handelt sich um politische Arbeit, wie wir sie alle täglich erledigen, um für eine solidarische Gesellschaft jenseits kapitalistischer Ausbeutung zu kämpfen. Wir alle könnten von der Verfolgung der Repressionsbehörden betroffen sein.
Deswegen müssen wir uns ins Gedächtnis rufen:
Getroffen hat es die zehn Genoss*innen, aber gemeint ist die gesamte Linke, gemeint sind wir alle!!!
Simón Trinidad ist ein kolumbianischer Freiheitskämpfer und Intellektueller. Er war Mitglied der ehemaligen Guerillaorganisation Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens – Armee des Volkes (FARC-EP). Ende des Jahres 2003 ist er in Quito, Ecuador, gefangen genommen und später nach Kolumbien gebracht worden. Simón befand sich damals in Ecuador, weil er dort auf mögliche Friedensgespräche zwischen der Guerillaorganisation, dem kolumbianischen Staat und den Vereinten Nationen (UNO) hinarbeitete.
Sofort nahm der damalige Präsident von Kolumbien, der rechtsextreme und mit paramilitärischen Gruppen in Verbindung stehende Álvaro Uribe Vélez Kontakt zum US-amerikanischen Botschafter in Kolumbien auf, und forderte die Auslieferung von Simón.
So ist Simón Anfang 2004 unter falschen Anschuldigungen in die Vereinigten Staaten ausgeliefert worden. Dort waren vier Gerichtsverfahren nötig, um Simón wegen nur einer der zahlreichen und falschen Anklagepunkte zu verurteilen. Zuerst wurde ihm die Beteiligung an einem Drogengeschäft vorgeworfen; diese Anschuldigung musste jedoch anhand nicht vorhandener Beweise zurückgenommen werden. Danach wurde er beschuldigt sich bei der angeblichen Entführung drei US-amerikanischer Spione Anfang 2003 beteiligt zu haben. Simón hat jedoch keinerlei Verbindung zu diesen Ereignissen. Er hat niemals den geringsten Kontakt zu den drei US-amerikanischen Staatsbürgern gehabt.
Simón Trinidad ist also ein politischer Gefangener. Er ist im Hochsicherheitsgefängnis ADX Florence in Colorado, USA, eingesperrt. Dort verbüßt er eine 60-jährige Haftstrafe in Einzelhaft, abgeschottet von der Außenwelt, trotz seines fortgeschrittenen Alters und gesundheitlichen Beschwerden.